Von Daniel Clarke ANutr., Senior Ernährungs-Fachkraft
Wie du vielleicht schon aus unserem Artikel Was ist Stress? weißt, ist Stress in erster Linie eine notwendige Antwort des Körpers auf eine Veränderung (Stressfaktor). Geht es um Stress im Ernährungskontext, ist damit die Wirkung bestimmter Lebensmittel gemeint. Diese können entweder eine direkte Reaktion hervorrufen oder den Umgang des Körpers mit Stressfaktoren wie Alterung oder Rauchen beeinflussen.
Stress aktiviert unser Immunsystem. Diese Aktivierung äußert sich zum Teil durch Entzündungen. Diverse Komponenten des Immunsystems wirken an der Entzündungsreaktion mit und setzen dabei eine Vielzahl entzündungsfördernder Substanzen wie Cytokine und Hormone frei, auf die wiederum andere Zellen reagieren.
Entzündungen können durch Infektionen oder Verletzungen hervorgerufen werden oder eine weniger offensichtliche Ursache haben.[1] Sie können sich durch Schwellungen, Rötungen oder wunde Stellen bemerkbar machen, aber auch ohne äußere Symptome auftreten.[2]
Über einen relativ kurzen Zeitraum auftretende Entzündungen bezeichnet man als akut. Chronische Entzündungen können sich dagegen über Jahre hinziehen.[2] Zu einem chronischen Verlauf kann es kommen, wenn die Ursache nicht behoben wird, wiederholt auftritt oder die Folgen nicht behandelt werden.[1] Zudem können Entzündungen als lokal (in einem bestimmten Bereich) oder systemisch (mehrere verschiedene Körperbereiche betreffend) eingestuft werden.
Je länger eine Entzündung andauert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit negativer Folgeerscheinungen.[3] Unter anderem deshalb werden chronische Entzündungen mit solcher Besorgnis und seit einigen Jahren mit größerer Aufmerksamkeit betrachtet.
Zwar gibt es sichtbare Anzeichen für eine Entzündung, diese können jedoch besonders in den frühen Phasen eines chronischen Verlaufs auch fehlen.[2] Zum Glück lassen sich Entzündungen anhand bestimmter Marker messen, selbst wenn keine Symptome zu erkennen sind. Der bekannteste und am häufigsten genutzte Entzündungsmarker ist C-reaktives Protein (CRP).[4] CRP wird von der Leber als Antwort auf die durch das Immunsystem freigesetzten Cytokine produziert.[5] Da CRP schnell wieder verschwindet und die Konzentration hauptsächlich von der produzierten Menge abhängt, ist es ein sehr guter Entzündungsindikator.[6]
Cytokine wie Interleukin-6 (IL-6) und Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) können ebenfalls als eigenständige Marker dienen oder die CRP-Messung ergänzen.[7–9] In wissenschaftlichen Studien zeigen die Blutwerte der Kontrollgruppe für gewöhnlich eine geringe Cytokinkonzentration, sodass ein erhöhter Wert auf eine Entzündungsreaktion hindeuten kann.[10]
Leider kannst du zu Hause keine Entzündungswerte ermitteln. Deine Ärztin oder dein Arzt kann jedoch die entsprechenden Tests anordnen, wenn diese neue Erkenntnisse zu deinem Gesundheitszustand versprechen.
Zahlreiche Krankheiten hängen mit chronischen Entzündungen zusammen. Bei vielen davon spielt unsere Ernährung eine Rolle. Da wären etwa Zöliakie, die direkt durch die Reaktion des Körpers auf das in Weizen, Roggen und Gerste enthaltene Eiweiß Gluten entsteht[11], oder rheumatische Arthritis, die sich durch unsere Essgewohnheiten zum Besseren oder Schlechteren entwickeln kann[12], um nur zwei Beispiele zu nennen. Die Ernährung kann sich also auf Entzündungen in bestimmten Krankheitsstadien auswirken, aber wie sieht die Situation bei gesunden Menschen aus?
Entzündungshemmende Diäten beruhen auf dem Grundgedanken, dass bestimmte Lebensmittel Entzündungsreaktionen verstärken, wogegen andere diese abmildern. Aus diesem Grund werden bestimmte Lebensmittel gemieden oder verstärkt verzehrt – je nachdem, ob sie Entzündungen Vorschub leisten oder ihnen entgegenwirken.[13]
In der Datenbank WorldCat waren 2010 mit der Suchanfrage „entzündungshemmende Ernährung“ 300 Bücher zu finden.[13] Mittlerweile sind es über 700.[14] Die Idee, Entzündungen, Gesundheit und Ernährung in Zusammenhang zu bringen, hat in den letzten Jahren enorm an Zuspruch gewonnen. Vielleicht wirkt sie überzeugend, weil sie logisch und wissenschaftlich scheint.
Die in diesen Büchern vertretenen Diäten unterscheiden sich zum Teil erheblich, da es weder die eine entzündungshemmende Ernährungsweise noch feste Regeln dafür gibt. Manche befürworten eine abwechslungsreiche Ernährung entsprechend den offiziellen Empfehlungen, während andere zum kompletten Verzicht auf bestimmte Lebensmittel wie Getreide, Soja und Milchprodukte raten. Das Weglassen von Lebensmitteln sollte jedoch gut überlegt sein, da es sonst zu einer Mangelversorgung mit bestimmten Nährstoffen führen kann. Für eine entzündungshemmende Ernährung werden dagegen häufig fettreicher Fisch, Nüsse, Beeren, grünes Blattgemüse, Olivenöl und Gewürze empfohlen.[15]
Die Ernährung kann sich zweifelsohne auf Entzündungsmarker und das Risiko von Krankheiten mit Entzündungssymptomen auswirken.[16, 17] Ob die verzehrten Lebensmittel das Erkrankungsrisiko durch entzündungshemmende Mechanismen verringern, ist unsicher. Fest steht jedoch, dass Entzündungen nur ein Teil des Puzzles sind.[18,19]
Der Entzündungsindex für die Ernährung wurde 2009 erstellt[20] und liefert eine Einstufung der Entzündungswirkung von Nährstoffen. 2014 wurde er mit einem verbesserten Bewertungssystem und Daten von Personengruppen auf der ganzen Welt überarbeitet.[21] Der Index basiert auf mehr als 1.900 Studien, die Versuche mit Zellkulturen, Tieren und Menschen umfassen. Dabei wurden die Auswirkungen von 45 Lebensmittelbestandteilen auf Entzündungsmarker wie CRP, IL-6 und TNF-α untersucht. Bei den Lebensmittelbestandteilen handelte es sich um Nährstoffe, Kräuter und Gewürze, Zu beachten ist, dass die Gesamtbewertung die vollständige Ernährung und nicht nur einzelne Lebensmittel oder Nährstoffe berücksichtigt.
Diese Untersuchungen haben einen Zusammenhang zwischen Omega-3-Fettsäuren und Phytonährstoffen und einem niedrigen Entzündungsindex ergeben.[21] Dementsprechend umfasst eine entzündungshemmende Ernährung Lebensmittel, die reich sind an Omega-3-Fettsäuren, wie fettreicher Fisch, Leinsamen und Walnüsse, sowie die diversen Phytonährstoffe aus pflanzlichen Produkten, wie nicht stärkehaltigem Gemüse und verschiedenfarbigen Obstsorten.
Im Gegensatz dazu gilt eine Ernährung mit hohem Kaloriengehalt,raffinierten Kohlenhydraten, Zucker und gesättigten Fetten eher als entzündungsfördernd.[21]
Dem durchschnittlichen westlichen Speiseplan mangelt es an allen Elementen aus dem ersten Absatz, gleichzeitig enthält er reichlich von letzteren Bestandteilen. Damit ist er das ganze Gegenteil einer mediterranen Diät. Studien, die beide Ernährungsweisen und ihren Effekt auf Entzündungen untersucht haben, untermauern die Erkenntnisse des Entzündungsindex.[22-24]
Es kommt auf den Gesamtkontext der Ernährung an – darauf, was Menschen Tag für Tag über einen langen Zeitraum essen. Das heißt, von einer Handvoll Blaubeeren täglich werden Entzündungen nicht verschwinden und genauso wenig werden gesättigte Fettsäuren sie in jedem Fall hervorrufen.
In vielen Studien werden Zellen oder Ratten extrem hohe Mengen einer isolierten Verbindung verabreicht, die durch Ernährung allein nie erreicht würden.[25, 26] Genauso kann die betreffende Verbindung bei Menschen einen nur sehr geringen oder auch gar keinen Effekt zeigen.[25, 26] Das hängt mit der Komplexität der menschlichen Ernährung und ihrer Erforschung zusammen. So kann es beispielsweise sein, dass ein Lebensmittel als entzündungshemmend gilt, weil es statt eines anderen Lebensmittels oder häufig zusammen mit anderen Lebensmitteln gegessen wird. Abgesehen davon ist der menschliche Körper biologisch vielschichtiger als Ratten oder gar einzelne Zellen, was die Bewertung solcher Studien zusätzlich erschwert.
„Entzündung“ ist mittlerweile ein Buzzword und die Standarderklärung für allerlei Krankheiten. Das wird ausgenutzt, um für Ernährungsprodukte und Diäten zu werben. Aber du weißt ja, so einfach ist es natürlich nicht. Wie schon erwähnt müssen isolierte Verbindungen, die in Versuchen mit Zellen eine bestimmte Wirkung zeigen, im menschlichen Körper nicht denselben Effekt haben.[27, 28] Tatsächlich können sie sogar nachteilig wirken, wie zum Beispiel beim Sport verabreichte Antioxidantien, die unter Umständen die Vorzüge des Trainings beeinträchtigen.[29]
Ebenso sollte beachtet werden, wie stark der entzündungshemmende Effekt eigentlich ist. Die entzündungshemmende Wirkung von Lebensmitteln oder Nährstoffen, wie etwa Fischöl, wird durch das Marketing oft stark übertrieben dargestellt. Fischöl wirkt zwar möglicherweise entzündungshemmend, diese Wirkung fällt aber, insbesondere bei ernährungsüblichen Mengen, relativ gering aus.[30]
Darüber hinaus ist die Behauptung, eine bestimmte Ernährungsweise sei „die beste“, weil sie bestimmte Lebensmittel aufgrund ihrer Entzündungswirkung weglässt, ein Warnsignal. Der Versuch, aus einer gesunden Ernährung bestimmte Nährstoffe herauszupicken und ihnen einen Effekt auf Entzündungsverläufe zuzuschreiben, ist nicht konstruktiv. Ernährung ist immer die Summe all ihrer Bestandteile.
Aus den Daten zum Thema Entzündung ergeben sich für die meisten Menschen dieselben Ernährungsempfehlungen, die wir schon seit Jahren kennen: Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und fettreichen Fisch essen, gleichzeitig übermäßige Kalorienzufuhr, gesättigte Fette und raffinierte Kohlenhydrate meiden.[15, 21] Das lässt sich zum Beispiel durch eine pflanzenbasierte Ernährung erreichen, zu der auch Huel beitragen kann.
Wenn du irgendwo im Internet Aussagen à la „Mach das gegen Entzündungen!“ siehst, sind diese meist mit Vorsicht zu genießen. Am besten lässt du dich gar nicht darauf ein und nutzt die Zeit lieber zum Entspannen. Mach einen Spaziergang, gönn dir ein schönes Heißgetränk oder hör ein bisschen Musik. Das schont deine Nerven und spart vermutlich auch noch Geld.
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