Ist „Habit Stacking“ der Schlüssel zu dauerhaften Gewohnheiten?
Es ist nicht leicht, positive Gewohnheiten zu entwickeln und dauerhaft zu verinnerlichen. Aber es gibt Hoffnung: „Habit Stacking“ wird als neue Patentlösung zur Selbstoptimierung angepriesen. Was ist dran? Wir haben mit zwei Expertinnen gesprochen.
Wenn es darum geht, sich etwas Neues anzugewöhnen, stehen wir Menschen vor den unterschiedlichsten Herausforderungen: Die einen wissen nicht genau, welche Gewohnheiten für sie empfehlenswert sind, die anderen haben Probleme damit, Gewohnheiten beizubehalten.
Das „Habit Stacking“ – buchstäblich das Stapeln oder Kombinieren mehrerer Gewohnheiten – erfreut sich in letzter Zeit enormer Beliebtheit, da es angeblich helfen soll, neue Gewohnheiten effektiver umzusetzen. Mehr noch: Es gilt als wirksame Technik, um die negative innere Stimme zum Schweigen zu bringen, die vielen immer wieder zuraunt: „Das schaffst du eh nicht.“
„Selbstzweifel haben oft mit Ängsten zu tun“, erklärt Michelle Goodloe, die als niedergelassene Sozialarbeiterin, Autorin und Wohlfühlstrategin arbeitet. „Wenn du merkst, dass du an dir zweifelst, wenn du etwas Neues ausprobierst, solltest du realistische Erwartungen an dich haben und dich am Anfang als jemand betrachten, der noch lernt.“
Wenn man positive Assoziationen mit neuen Gewohnheiten verbindet, fällt es einem leichter, dranzubleiben, vor allem auf lange Sicht. Eine im Journal of Consumer Research veröffentlichte Studie hat ergeben, dass die meisten Menschen davon profitieren, dass sie ihre Gewohnheiten mit anderen Gewohnheiten, die ein unmittelbares Erfolgserlebnis bieten, verbinden. Selbst wenn das, was sie sich angewöhnen wollen, längerfristige Veränderungen beim Lebensstil erfordert.
Wie gewöhnt man sich etwas an?
Okay, bevor wir zum „Habit Stacking“ kommen, sollten wir uns einige Definitionen ansehen.
„Eine Gewohnheit ist ein Verhalten, das über einen Zeitraum hinweg erlernt und verstärkt wird und schließlich automatisch oder unbewusst abläuft“, erklärt Dr. Sarah Oreck, Psychiaterin und Psychotherapeutin. „Habit Stacking ist eine Technik, die helfen kann, uns neue Dinge anzugewöhnen, indem wir eine neue Gewohnheit mit einer bestehenden Gewohnheit, die wir bereits regelmäßig ausüben, verbinden.“
Bevor du dich ans „Habit Stacking“ machst, solltest du allerdings sicherstellen, dass die Gewohnheit, die du dir aneignen willst, den folgenden Kriterien entspricht, so Dr. Oreck:
Sie ist klein, überschaubar und ideal für den Anfang.
Die Gewohnheit gibt deinem Leben sowohl kurz- als auch langfristig einen Sinn (dadurch wird es einfacher, sie beizubehalten). Du lässt Fehler zu: Die Entwicklung von Gewohnheiten steckt voller Höhen und Tiefen.
Goodloe stimmt Dr. Oreck zu: Such dir eine Gewohnheit aus, die sinnvoll und relevant für dein Leben ist, damit die Chancen größer sind, dass du sie langfristig beibehältst.
„Zu den häufigen Fehlern [bei der Entwicklung von Gewohnheiten] gehören: sich ohne Zweck oder Ziel in eine neue Gewohnheit zu stürzen, sich zu große Ziele zu stecken oder bloß Trends zu folgen, ohne vorher abzuchecken, ob die entsprechende Gewohnheit auch wirklich deinen Bedürfnissen entspricht“, erklärt Goodloe.
Das „Habit Stacking“ kann hier besonders nützlich sein, weil es dir hilft, zu erkennen, wo in deinem Alltag du diese neue Gewohnheit einbauen kannst und ob sie im Zusammenspiel mit deinen bestehenden Gewohnheiten oder deinem Lebensstil überhaupt sinnvoll ist.
So funktioniert das „Habit Stacking“
James Clear, Autor von „Atomic Habits“, hat das „Habit Stacking“ in jüngster Zeit populär gemacht. Es definiert sich als besondere Form der Absicht, etwas umzusetzen, indem man für fast jede Gewohnheit einen offensichtlichen Trigger definieren kann.
Das Ziel ist nicht zu sagen: „Ich will ein Morgenmensch sein“, sondern das frühere Aufstehen mit etwas zu verbinden, das du ohnehin jeden Morgen machst, wie Duschen, Kaffeekochen oder Spazierengehen. Jedes Mal, wenn du eine neue Gewohnheit, die du gerne übernehmen würdest, mit einer alten, liebgewonnenen Gewohnheit verbindest, „stapelst“ du Gewohnheiten.
„Neue Gewohnheiten mit bestehenden zu verbinden, hilft beim Erlernen neuer Fähigkeiten, ohne unbedingt bei null anfangen zu müssen“, erklärt Goodloe. „Das macht es weniger abschreckend, sich neue Gewohnheiten anzueignen, und erhöht die Erfolgsquote.“
„Habit Stacking“ lässt dich auch ein Polster aufbauen, das Beständigkeit fördert und Fehler zulässt. Das European Journal of Social Psychology hat eine Studie veröffentlicht, in der festgestellt wurde, dass du dir eine Gewohnheit auch dann erfolgreich aneignen kannst, wenn du sie ein oder zwei Tage nicht befolgst, da Gewohnheiten nicht auf Perfektion basieren, sondern auf Beständigkeit. Und darauf, sie auf realistische Weise in den Alltag zu integrieren.
3 wichtige Tipps zum „Habit Stacking“
Sei spezifisch
„Ein großer Fehler [bei der Entwicklung von Gewohnheiten] ist es, zu unspezifisch vorzugehen“, führt Dr. Oreck an. „Wenn du versuchst, dir eine neue Gewohnheit anzueignen, ist es wichtig, genau zu wissen, was du erreichen willst.“ Du willst z. B. mehr Sport treiben, gesünder leben oder mehr Bewegung in deinen Tag bringen? Dann gewöhne dir an, deinen Kaffee zu Fuß zu holen, statt mit dem Auto zu fahren. Diese Gewohnheit beruht dann auf einer ganz spezifischen Handlung und nicht auf einem Gefühl.
Definiere einen Trigger
James Clear schreibt, dass der Schlüssel zum effektiven „Habit Stacking“ darin liege, sich selbst grünes Licht zu geben, um eine neue Gewohnheit anzustoßen. Eine Studie in der Fachzeitschrift American Psychologist hat diese Erkenntnis bestätigt. In unserem „Kaffee zu Fuß holen“-Beispiel könnte dein Trigger z. B. der Moment sein, in dem du deine Sneaker anziehst oder dir deine Kopfhörer für den Morgenspaziergang schnappst.
Weihe deine Freunde ein
Was außerdem helfen kann, neue Gewohnheiten zu verinnerlichen: Hol dir Unterstützung von deinen Freunden! Laut einer vom Fachverband American Psychological Association veröffentlichten Studie werden Menschen durch ihre sozialen Gruppen dazu motiviert, Ziele zu erreichen oder Gewohnheiten beizubehalten. Ähnlich wie in der oben genannten Studie zur positiven Bestärkung kann einem konsequenten Verhalten also durchaus zuträglich sein, wenn du ein Foto von deinem – zu Fuß geholten – Morgenkaffee in den Gruppenchat stellst.
Ein paar Gedanken zum Abschluss
Egal, welche Gewohnheit du dir aneignen willst: Es ist wichtig, dass sie realistisch ist, dass du sie in deine bestehenden Gewohnheiten integrierst und dass du dich selbst auf die Erfolgsstrecke bringst, indem du spezifische Trigger setzt. Oder wie Goodloe es formuliert:
„Mach’s dir leicht, wenn du etwas Neues beginnst. Es ist hilfreich und liefert dir Bestätigung, mit etwas Kleinem und Skalierbarem anzufangen, um das Fundament zu legen und sich selbst zu ermutigen. Wenn wir mit zu großen Zielen starten, geben wir uns oft zu früh geschlagen.“