So machst du weiter Strecke, wenn du eigentlich aufhören willst

Kurz vorm Aufgeben? Wir zeigen dir Techniken, um Rückschläge zu verkraften, Durststrecken zu überwinden und deinen Körper weiter in Bewegung zu halten.

Gepowert von Huel, hat der Ultraläufer Russ Cook – auch bekannt als @hardestgeezer – das Unmögliche gewagt: Afrika der Länge nach zu durchqueren, und zwar im Laufschritt. Eine übermenschliche Leistung, die ein unfassbares Maß an Toleranz gegenüber Hitze, Schmerzen und feindseligen Grenzbeamten erfordert. Und die unglaubliche 360 Marathons (= rund 15.180 km) durch Wüsten, Dschungel und über Berge umfasst.

Zu Ehren dieser heroischen Challenge werfen wir Licht auf ein Thema, dem wahrscheinlich alle von euch schon einmal begegnet sind (und das Russel Cook zweifellos in jeder Sekunde seiner Afrika-Odyssee beschäftigt): die Frage, wie man dranbleibt, wenn man aufgeben will.

Die meisten der folgenden Tipps orientieren sich am Laufsport, sind aber für jede Disziplin anwendbar, ob Fitness oder darüber hinaus. Da Cook verständlicherweise sehr beschäftigt ist im Moment, haben wir uns Rat von einem anderen Rekord-Langstreckenläufer geholt, der nur zu gut weiß, wie es sich anfühlt, gegen die sprichwörtliche Wand zu rennen – und sich trotzdem wie ein Bulldozer weiter seinen Weg zu bahnen.

Nick Butter ist ein britischer Ausdauersportler, Redner, Bestsellerautor, Kineon-Botschafter und 11-facher Weltrekordhalter. Im Jahr 2019 wurde er zum ersten Menschen überhaupt, der in jedem Land der Erde einen Marathon gelaufen ist. Zwei Jahre später nahm er trotz gerissenem Meniskus und gebrochenem Schienbein an 200 Marathons in 128 Tagen teil, um die Küste Großbritanniens zu umrunden. „Schmerz ist Wahrnehmung”, findet er achselzuckend.

Nick und Russ haben dich dazu inspiriert, dir schnell deine Laufschuhe an die Füße zu schnallen – aber schon die Runde um den Block fällt dir schwer? Lies weiter und entdecke praktische Tipps, die dir helfen, weiter zu kommen, als du es je für möglich gehalten hättest.

Frag dich nach dem „Warum“

Bevor er irgendwelche Ratschläge gibt, betont Nick Butter, dass es absolut okay sei, von Zeit zu Zeit den Fuß vom Gas zu nehmen. So wie er selbst es auch manchmal tun musste.

Aber, so fügt er hinzu: „Egal, wofür du trainierst, egal, welches Ziel du verfolgst, du musst die richtigen Gründe dafür haben. Sonst wird das Ganze nie nachhaltig sein.“

Für Butter war das Laufen wie Therapie. „Früher habe ich im Finanzwesen gearbeitet“, erinnert er sich. „Meine Welt war superstressig, ich arbeitete rund um die Uhr und schlief unter meinem Schreibtisch. Ich brauchte ein Ventil, und das Laufen hat mir geholfen, den Kopf freizubekommen.“ Dabei stellte er fest, dass er sich umso besser fühlte, je mehr er lief. „Genau das treibt mich jetzt an: Man muss es aus Liebe zur Sache tun.“

Mit anderen Worten: Wenn du nur läufst, um dir Applaus und Anerkennung auf Strava zu holen, dann machst du es aus den falschen Gründen. „Das bringt dich nur bis zu einem bestimmten Punkt, aber nicht weiter“, so Butter. „Lerne, das Laufen zu lieben und es für dich selbst zu tun.“

Identifiziere deine Mission

Für ein höheres Ziel – z. B. Rekorde – zu trainieren, hat Butter motiviert, in schwierigen Phasen durchzuhalten. So auch bei seinem Ziel, in allen Ländern der Welt einen Marathon zu laufen.

„Ich stand kurz vor der Zielgeraden, Land 180 von 196“, sagt er. „Ich war auf den Marshall-Inseln, die dafür berühmt sind, dass dort zahlenmäßig auf jeden Menschen vier Hunde kommen. Alles Streuner, alle hungrig. Ich checkte in ein Hotel ein und mir wurde gesagt, ich bräuchte zwei Dinge: einen Zimmerschlüssel und einen Stock.“

Als Butter am nächsten Morgen zu seinem Marathon aufbrach, war er von Hunden umringt, die sich schnappend an seine Fersen hefteten. Zu allem Überfluss fegte auch noch ein Tropensturm durch die Gegend. „Ich fuchtelte mit dem Stock herum, kam aber nicht weiter“, erzählt er. „Ich hätte aufhören können, aber ich hatte eine Mission.“ Statt aufzugeben, fand Butter in der Nähe einen kleinen Parkplatz ohne Hunde und lief dort 340 Runden, um die 42 km auf seinem Plan abzuhaken.

Was wir daraus lernen? Wenn du etwas wirklich willst, dann schaffst du es auch. „Definiere deine Mission und steck dir deine Ziele, dann wirst du sie erreichen“, sagt er. „Und was auch immer passiert, lass dich bloß nicht beißen.”

Denk immer daran: Weitermachen ist einfacher als Aufhören
Es ist keine große Überraschung, dass Butter oft gefragt wird: „Was motiviert dich dazu, dranzubleiben?“. Seine Standardantwort: Es ist viel einfacher, weiterzumachen, als aufzuhören.

Das gilt sowohl mitten im Lauf, wenn deine Lungen schreien und deine Waden brennen, als auch auf längere Sicht: „Wenn du zehn Tage am Stück etwas gemacht hast und dann ein paar Wochen pausierst, ist es viel schwieriger, wieder reinzukommen.“

„Auch wenn du müde bist, es kalt ist, es dunkel ist – solange du es einfach abhakst, wird der nächste Tag kommen, und plötzlich bist du 30, 40, 50 Tage weiter in deinem Plan. Dann wird es viel einfacher, dranzubleiben, weil du schon so viel geschafft hast. Beim Laufen geht es vor allem um Beständigkeit und darum, Schwung zu holen und zu halten“, fügt er hinzu.

Gleichermaßen gilt: Wenn du einen schlechten Lauf hast oder deine Zeiten weniger gut sind, und du das zu sehr an dich heranlässt, dann wird es dir viel schwerer fallen, wieder anzufangen. „Scheitern ist ein Teil des Erfolgs“, betont Butter. „Also lerne, Misserfolge anzunehmen. Du kannst nichts erreichen, ohne ein paar Mal über dich selbst zu stolpern.“

Denk an Paula

Alle paar Kilometer (oder alle paar Minuten bei kürzeren Strecken) macht Butter ein Status-Update, um seine Form zu optimieren. In diesen Momenten denkt er an die Langstreckenlegende und ehemalige Marathonrekordhalterin der Frauen, Paula Radcliffe.

„Paula sagt, dass ihr Kopf nach unten sinke und ihre Arme nach oben wanderten, sobald sie müde werde, als untrügliches Indiz“, erläutert er. „Für einen Langstreckenläufer wie mich ist es wichtig, meine Arme und Hände auf Höhe meiner Hosentaschen zu halten, weil ich nicht will, dass mein Herz härter arbeiten muss, um das Blut bergauf bis in meine Fingerspitzen zu pumpen. Ich will auch nicht gebückt laufen und meine inneren Organe zusammenstauchen.“

Als „Gegenmittel“ stellt sich Butter ein Stück Schnur vor, das oben aus seinem Kopf kommt und den Körper in eine aufrechte Position zurückzieht. „Das sorgt dafür, dass du gleichmäßig auf deinen Füßen landest, verringert das Verletzungsrisiko für deine Knöchel und gibt deinen Lungen ausreichend Platz, um sich vollständig auszudehnen“, erklärt er.

Mach kürzere Schritte

Ein weiterer Fehler, auf den Butter häufig hinweist, ist die Trittfrequenz – also die Anzahl der Schritte pro Minute. „Die meisten Menschen neigen dazu, zu lange Schritte zu machen, besonders wenn sie versuchen, besser zu werden“, sagt er. „Sie überstrecken ihre Beine. Das führt aber nur zu mehr Muskelkater und Müdigkeit.“

Lange Schritte vergleicht er mit Bizepscurls, die mit 50 kg schweren Hanteln durchgeführt werden, während viele kleine Schritte wie Curls mit 1 kg schweren Gewichten seien: „Kürze Schritte sind weniger belastend für die Muskeln und Gelenke deiner Beine, deines unteren Rückens und deiner Schultern“.

Butter rät dazu, die Schrittlänge zu verkürzen, indem man die Knie anhebt (wenige Zentimeter genügen). Eine Trittfrequenz von 180 (oder 90 Schritten pro Fuß) ist optimal. „Wenn du dich darauf konzentrierst, alle paar Kilometer deine Trittfrequenz zu zählen, werden sich dein Gehirn und dein Körper bald an diesen Rhythmus gewöhnen.“

Tanke vorher genügend Energie

Energiemangel oder Dehydrierung – selbst bei nur 3,2 % der Körpermasse – könnten dazu führen, dass du deinen Lauf abbrichst, also lass deinen Tank nicht auf Grund laufen. Und nimm auch keine Überdosis Zucker zu dir, bevor du ihn tatsächlich brauchst.

Vor einem Marathon isst Butter immer zwei Bananen und nimmt bis zur Hälfte des Rennens keine Energiegels oder -getränke zu sich, um eine Unterzuckerung („Sugar Crash“) zu vermeiden.

„Essen ist immer die wichtigste Stellschraube für mich“, sagt er. „Heb dir Gummibärchen, Fruchtpastillen oder Gels für die letzte Hälfte auf, wenn dein Körper den Zucker wirklich braucht.“

Lass deinen Gedanken freien Lauf

Musik ist ein starker Performancebooster. Sie kann dir helfen, effizienter zu trainieren, Ermüdungserscheinungen zu beseitigen und die Schmerzgrenze zu überwinden. Butter zieht es jedoch vor, komplett abzuschalten oder sich gedanklich in ein gutes Buch zu vertiefen.

„Ich höre sehr selten Musik beim Laufen“, bemerkt er. „Siebzig Prozent der Zeit hab ich gar nichts auf den Ohren, die anderen 30 Prozent höre ich Hörbücher oder Podcasts. Ich will meine Gedanken in einen guten Roman entfliehen lassen.“

Eine Musikrichtung, die für Langstreckenläufer seiner Meinung nach nicht unbedingt hilfreich ist, ist „Musik mit superschnellem Beat“. „Du läufst dadurch schneller, als du musst“, erläutert er. Das könnte der Grund dafür sein, dass du früher aufhören musst, als du eigentlich willst.

„Viele Leute neigen auch dazu, zu viel Zeit in der Grauzone zu verbringen, wenn sie für einen Marathon trainieren“, fügt er hinzu. Das bedeutet, dass viele nicht wirklich ihre Ausdauer oder Geschwindigkeit trainieren, sondern lediglich ihren Körper ermüden.

Stattdessen rät Butter dazu, lange Strecken langsamer und kurze Strecken schneller zu laufen. „Auf diese Weise entwickelst du sowohl deine aerobe als auch deine anaerobe Kapazität auf die richtige Art und Weise, anstatt nur irgendwo in der Mitte herumzutreten.“

Räum dir mehr Zeit frei, um Ausreden zu vermeiden

Der Hauptgrund, warum viele Leute mit dem Laufen aufhören, ist laut Butter nicht etwa eine Verletzung oder mangelnde Willenskraft: Es kommt ihnen schlicht und einfach das Leben in die Quere. „Der Alltag kann dich vom Laufen abhalten, bevor du überhaupt angefangen hast.“

Anstatt zu versuchen, dein Training in deinen vollen Terminkalender zu quetschen, könntest du dir morgens mehr Zeit fürs Laufen freischaufeln. „Geh jeden Tag eine Stunde früher ins Bett und steh eine Stunde früher auf“, empfiehlt er. „Wenn du das jeden Tag machst, hast du am Ende des Jahres einen halben Monat mehr Zeit gewonnen. Nutze diese Zeit, um zu trainieren, bevor dein Tag beginnt, ansonsten brauchst du nichts weiter zu ändern.“

Mehr Zeit zu haben, lässt dich außerdem deinen Rhythmus finden. „Der beste Weg, eine Routine zu entwickeln, ist, jeden Tag rauszugehen, egal wie lang die Strecke ist. Da reichen schon 200 m“, motiviert Butter. „Zieh deine Laufkleidung an. Zieh deine Schuhe an. Geh raus. Und laufe jeden einzelnen Tag. Wenn du das 30 Tage lang machst, wirst du nicht mehr aufhören.“

Der Rhythmus, in dem du deine Kleidung anziehst und vor die Tür gehst, ist schon die halbe Miete. „Das habe ich vor über einem Jahr zu einem Freund gesagt, und letzte Woche hat er Tag 500 erreicht. Und davor war er kompletter Nicht-Läufer.“

Mach dir bewusst, dass Schmerz nur im Kopf existiert

Kaum vorstellbar, dass man es einfach herunterschlucken soll, wenn sich der Körper anfühlt, als würde ein glühendes Schwert mitten durch einen hindurchgleiten … Aber wie Butter bestätigen wird, lassen sich sogar Schmerzen überwinden.

Diese Lektion hat er während seiner Umrundung der Küste Großbritanniens auf die harte Tour gelernt: „Ich bin jeden Tag zwei Marathons gelaufen und habe in einem Van gelebt. Am sechsten Tag von vier Monaten riss mein Meniskus. Es war eine echte Tortur – aus 12-Stunden-Tagen wurden 19-Stunden-Tage. Ich hatte Halluzinationen. Ich träumte, ich hätte einen Löwen am Strand gesehen. Ich sah aus, als hätte ich 40 Gläser Bier intus.“

An diesem Punkt suchte er sich ärztliche Hilfe, und ein Physiotherapeut gab ihm folgenden Rat: „Schmerz ist Wahrnehmung. Er existiert nur in deinem Kopf.“ Er gab Butter ein Hausmittel aus Paprika gemischt mit Fleisch zu essen. „Innerhalb von Sekunden fühlte es sich an, als stünden meine Beine in Flammen. Je mehr ich mich bewegte, desto mehr brannte es. Aber, und das ist die Hauptsache: Es lenkte mich von meinem Knie ab.“

An Tag 33 nahm seine Challenge wieder eine Wendung. „Ich lief über 643 km in der Woche, was enorm ist“, sagt er. „Aber meine Beine wurden sehr schwach und verloren an Knochendichte. Mein Schienbein bekam einen Riss, dann brach es ganz.“ Dieses Mal musste Butter ins Krankenhaus und wurde mit einer Stiefelbandage entlassen.

Er hätte aufgeben können, doch stattdessen sagte er sich: „Ich bin Ausdauersportler – ich muss Ausdauer beweisen und durchhalten“. Butter nahm sich eine Auszeit von drei Tagen und machte sich dann daran, zwei Marathons am Tag auf Krücken zu absolvieren.

„Ich habe jeden Tag geheult“, gibt er zu. „Aber mein Physiotherapeut sagte: ‚Wenn du dich jeden Tag ein bisschen besser fühlst, wirst du irgendwann so weit sein, dass du dein Ziel erreichen kannst‘.“ Drei Wochen später konnte er wieder joggen. Zwei Monate später hatte er seine Mission erfüllt.

Okay, dieses Beispiel mag extrem sein, aber wenn du das nächste Mal wegen einer Nichtigkeit das Handtuch werfen willst, dann frag dich einfach: Was würden „The Hardest Geezer“ Russ Cook oder Nick Butter tun?

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