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Bist du reif für eine digitale Entgiftung?

Du guckst alle paar Minuten aufs Handy? Hast den Drang, ständig deinen Insta-Feed zu checken? Hier erfährst du, wie es dir gelingt, öfters mal abzuschalten.

digital detox

Irgendwie klingt es unheimlich verlockend: Dem Internet eine Weile den Rücken kehren. Im Moment leben. Bewusst wahrnehmen, was um uns herum geschieht, anstatt sich ständig durch die gefilterte, kuratierte „Realität“ der sozialen Medien zu scrollen. Bestimmt hast auch du schon mal drüber nachgedacht.

Doch ironischerweise liest du diesen Artikel wahrscheinlich gerade auf dem Handy.
Und damit bist du nicht allein, denn durchschnittlich verbringen wir jeden Tag mehr als viereinhalb Stunden an unseren Geräten. Wahrscheinlich ist dein Handy das Erste, wonach du morgens greifst, und das Letzte, was du abends aus der Hand legst. Vielleicht hast du dich sogar schon mal selbst auf „digitalen Entzug“ gesetzt und beherzt ein paar Apps gelöscht – nur, um sie kurz darauf erneut downzuloaden und in alte Gewohnheiten zurückzufallen.

Wenn du jedoch feststellst, dass du endlos durch #FitTok-Videos scrollst und gar nicht mehr bemerkst, wie die Zeit verrinnt, dann solltest du eventuell das Thema ernsthaft anpacken. Keine leichte Aufgabe, das wissen wir. Deshalb haben wir mit führenden Psychologen für Internet- und Technologiesucht gesprochen und uns Tipps geholt, um die Sache richtig anzugehen.

Woran erkennst du, dass du den Stecker ziehen solltest?

Da die meisten von uns ihr Handy sowohl bei der Arbeit als auch in der Freizeit nutzen, ist es mitunter schwierig, ungesunde Gewohnheiten zu erkennen. „Social-Media-Apps führen ständig neue überzeugende Designelemente ein, die Nutzer zum Tippen und Scrollen animieren. Das macht Smartphones so immersiv und fesselnd wie nie zuvor“, erklärt Dr. Richard Graham, klinischer Direktor, Berater und Psychiater bei Stem4.

Woran können wir also ablesen, dass sich potenziell eine Technologiesucht anbahnt? Was sind die verräterischen Zeichen? „Hast du das Gefühl, die Nutzung deiner Geräte unter Kontrolle zu haben – oder beeinträchtigt sie deine Alltagsverpflichtungen und Beziehungen, wie Arbeitstermine, Treffen mit Freunden oder Zeit mit der Familie?“, fragt Dr. Graham. „Liegt eine Technologiesucht vor, dann stellt die Unfähigkeit, sich an zeitliche Grenzen zu halten, ein wichtiges Warnzeichen dar, da es den Menschen oft schwerfällt, zu bestimmten Zeiten dort zu sein, wo sie sein müssen.“

„Andere Bereiche deines Lebens, die darunter leiden könnten, sind Schlaf und Ernährung. Untersuchungen zur Technologienutzung haben ergeben, dass Menschen, die viel Zeit mit Gaming verbringen oder übermäßig in den sozialen Medien unterwegs sind, dazu neigen, mehr kohlenhydratreiche und relativ minderwertige Lebensmittel zu konsumieren“, sagt Dr. Graham. Ein weiterer Punkt: Wer sich aufgrund von Schlafmangel und falscher Ernährung müde und träge fühlt, treibt wahrscheinlich auch weniger Sport.

Eine Studie der Ofcom aus dem Jahr 2018 hat ergeben, dass die Menschen alle 12 Minuten ihr Handy checken. Das sind 60 Checks an einem 12-Stunden-Tag. Viele Smartphones sind inzwischen mit integrierten „Wohlfühlfunktionen“ ausgestattet (z. B. „Bildschirmzeit“ von Apple), die helfen sollen, deine Online-Nutzung zu beschränken. „Nutze diese Funktion, um zu analysieren, wie viel Zeit du über den Tag verteilt am Handy verbringst“, rät Dr. Graham. „Wenn dich diese Zahl beunruhigt, ist es vermutlich eine gute Idee, deine Bildschirmgewohnheiten zu überdenken.“

Was bringt eine digitale Entgiftung?

Jüngste Studien haben gezeigt, dass zu viel Zeit am Handy unsere Fähigkeit beeinträchtigt, neue Erinnerungen zu bilden, sich auf eine einzelne Aufgabe zu konzentrieren und neue Informationen zu speichern. Die Forschung legt nahe, dass auch unser Schlaf, unsere Leistung bei der Arbeit und unsere Fähigkeit, einen Trainingsplan einzuhalten, davon betroffen sind. Schon der bloße Vibrationston unseres Handys kann einen Hormoncocktail auslösen, der unseren Stresspegel in die Höhe schießen lässt und dazu führt, dass wir uns ausgelaugt und überfordert fühlen.

„Eine Auszeit vom Handy hilft dir, dich zu entspannen“, betont Dr. Graham. Im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit hat er beobachtet, dass gerätefreie Pausen bei Gaming-Süchtigen die Stimmung verbessern sowie Unruhe und Angstzustände verringern. „Die meisten meiner Kunden berichteten außerdem von einer besseren Schlafqualität“, fügt er hinzu.

Viele von uns werden von Selbstzweifeln geplagt, wenn sie in den sozialen Medien das scheinbar perfekte Leben anderer präsentiert bekommen. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir unseren Körper mit Fitnessstudio-Selfies von Sixpackträgern vergleichen oder neidisch zuschauen, wie eine Influencerin lässig am Strand chillt: Die Auswirkungen auf unsere psychische Gesundheit können gravierend sein.

Laut der Diplom-Psychologin Dr. Jane Halsall „kann die Online-Begegnung mit Dingen, die uns missfallen, unmittelbar Gefühle von geringem Selbstwert, Ablehnung und Hoffnungslosigkeit auslösen“. Eine 2017 durchgeführte Umfrage unter 1.500 Teenagern hat die negativen Auswirkungen von Apps wie Instagram auf die psychische Gesundheit unterstrichen. Eine verstärkte Nutzung wurde mit einem hohen Maß an Angst, Depression, Mobbing und FOMO, der „Angst, etwas zu verpassen“, in Verbindung gebracht.

„Ein komplettes Abschalten kann helfen, die Auswirkungen der Vergleichskultur auf unsere Stimmung zu verringern. Wenn du regelmäßig negative Gefühle dieser Art erlebst, kann es hilfreich sein, dir eine Auszeit zu gönnen, um zu einer gesünderen Einstellung zurückzufinden“, fügt sie hinzu.

Was raten die Profis?

Dr. Grahams wichtigster Tipp ist es, eine Pause von deiner üblichen Routine einzulegen. „Geh raus in die Natur, wenn du kannst“, rät er. „Eine neue Umgebung ohne WLAN ist sehr hilfreich, um ungewollte technologiebedingte Gewohnheiten zu durchbrechen.“ Außerdem haben Studien gezeigt, dass sich schon 20 Minuten Aufenthalt im Grünen pro Tag positiv auf die psychische Gesundheit auswirken.

Womöglich kommt es dir ein wenig dramatisch vor, deine anstehende Social-Media-Pause auf Instagram Stories anzukündigen – doch laut Dr. Graham spricht vieles dafür, dass wir Ziele eher umsetzen, wenn wir uns öffentlich dazu bekennen. „Vielleicht schreibst du deinen Freunden auf WhatsApp, dass du ein handyfreies Wochenende planst. Wenn du sie wissen lässt, dass du offline sein wirst, brauchst du dir weniger Sorgen darüber zu machen, wichtige Nachrichten zu verpassen.“

Zu guter Letzt fügt Dr. Halsall noch an, dass es ratsam ist, klein anzufangen, um uns erfolgreich neue Gewohnheiten anzueignen. Anstatt sofort auf kalten Entzug zu gehen, schlägt sie vor, mit einer Stunde Offline-Zeit pro Tag anzufangen und die Dauer nach und nach zu verlängern. Dieser Ansatz deckt sich mit dem Bestseller „Atomic Habits“ von James Clear, in dem er erklärt, dass Willenskraft wie ein Muskel funktioniert, der ermüdet, wenn wir ihn zu sehr beanspruchen. Der Schlüssel ist, die neue Gewohnheit so einfach zu machen, dass du keine große Motivation dafür brauchst, so Clear.

Dr. Halsall empfiehlt, das Handy auszuschalten und außer Sichtweite in eine Schublade zu legen, damit du nicht in Versuchung kommst, danach zu greifen. Als Nächstes solltest du planen, was du mit der gewonnenen Zeit anstellen willst, z. B. Joggen gehen oder ein schönes langes Bad nehmen. Dich an eine regelmäßige „handyfreie Zeit“ (und sei sie auch noch so kurz) zu gewöhnen, kann dir helfen, neue, gesunde Gewohnheiten für dich zu entdecken. Außerdem fühlt es sich richtig guuut an, zu wissen, dass du deinen Abend nicht an TikTok verschenkt hast. Kein Handy, kein Problem.